Rückblicke

Rückblick Hohenschwangau 2021

Die Tagung “Mein Bild in Deinem Auge” -Interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China fand vom 17.-19.9.2021 in Hohenschwangau im Hotel Martha Maria zu Füßen des Schlosses Neuschwanstein. Etrafen sich 40 Teilnehmer aus ganz Deutschland zum Sommertreffen der China Brücke Deutschland e.V.. Thema war „Mein Bild in Deinem Auge“ – Interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China. Auch dieses Jahr spielte Corona eine erhebliche Rolle bei der Vorbereitung des Treffens, das dann aber dank der Impfungen und kreativen Lösungen weitgehend unbeeinträchtigt stattfinden konnte. Auch die vorhergesagte 100% Regenwahrscheinlichkeit materialisierte sich nicht.

Am Freitag trafen sich die Teilnehmer gleich als erstes in Neuschwanstein, dem Traumschloss des Ludwig von Bayern zu einer Besichtigungsrunde. In angenehmen Kleingruppen konnte das Schloss in Augenschein genommen werden. Spektakulär waren vor allem Ausblicke aus den Fenstern und vom Balkon in die umgebende Landschaft.Das wagnerianische Verständnis des Schlosses als Realisierung der Gralsburg konnte natürlich nur gestreift werden.

Zum Abendessen trudelten die letzten Teilnehmer ein und gesellten sich hinzu zu den bereits angeregten Konversationen in die reservierte Stub‘n des Schlossbrauhaus Schwangau. Eine herzliche Begrüßung folgte der nächsten. Und so trafen alle schließlich wohl gesättigt im Tagungsraum des Hotel Martha Maria ein, wo in einer Vorstellungsrunde mancher Teilnehmer neue Menschen kennenlernte, die die China-Erfahrung teilen. Der Abend klang aus mit gemeinsamem Gesang aus dem Liederbuch der China Brücke Deutschland zu zwei Gitarren und Cajón. Am großen Tisch im Foyer des Martha Maria Hotels saßen viele Teilnehmer noch bis in die frühen Morgenstunden beim Wein zusammen.

Samstag begann früh um 8 Uhr mit dem Frühstück sowohl für die Teilnehmer, die im Martha Maria Hotel untergekommen waren, als auch für die Teilnehmer im Hotel Alpenstuben. Um 9 Uhr trafen sich alle zu Impulsvorträgen von Susen Müller zum Thema „Das Exotische“ und von Edna Li zum Thema „Liminal Spaces (Zwischenräume) in der interkulturellen Kommunikation“ im Saal des Martha Maria Hotels.

Susen Müller reflektierte zunächst das eigene Überlegenheitsgefühl, das ihre erste Zeit in China bestimmt hatte. Dann erörterte sie den Begriff des Exotischen aus verschiedenen Perspektiven, wandte ihn dann auf ihre Chinaerfahrung an und zeigte Wege aus dem Exotismus auf. Wichtig ist die Reflektion der eigenen Perspektive. Sprach-, Kultur- und Religionsverständnis ermöglichen es, andere Perspektiven auf die Realität zu akzeptieren. Als Beispiel erörterte sie die Erfahrung von Matteo Ricci, um dann den Prozess der interkulturellen Begegnung als einen nichtlinearen Prozess mit unterschiedlich hohen Stufen darzustellen. Im Grunde handelt es sich bei dem inneren Konflikt der interkulturellen Begegnung um die Angst, die eigene Identität zu verraten. Das Problem ist dann tatsächlich bei Rückkehr, dass der Reentry-Kulturschock fast größer ist als der Kulturschock bei der Ausreise, wenn man feststellt, dass man selbst zum Exoten geworden ist.

Edna Li führte ein in das Konzept des „Liminal Space“, des Zwischenraums. Es handelt sich dabei um einen Begriff, der Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Ethnologen und Anthropologen van Gennep entwickelt worden ist und in letzter Zeit eine ungeheure Konjunktur erfahren hat. Anschaulich wird dieser Raum, wenn man ihn auf die Architektur überträgt, dort beschreibt er Räume und Korridore, die nichts weiter sind als Transitzonen. Während Menschen im interkulturellen Austausch aufeinander zugehen, sind sie blockiert von den Vorstellungen, die sie von den anderen haben. Das bedeutet, dass sie nicht wirklich miteinander kommunizieren können, solange sie nicht bereit sind, ihre eigenen Vorstellungen vom anderen loszulassen. In der interkulturellen Kommunikation geht es also um das Entfernen von Blockaden. Es geht um Selbstwahrnehmung, Loslassen, Wahrnehmen und Übergänge. Gennep und Turner haben festgestellt, dass solche Übergangsbereiche in Kulturen jeweils von Ritualen begleitet werden. Wir kennen sie auch heute noch als Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Aussegnung und Beerdigung. Streng genommen sind auch Grenzübergänge solche Transitzonen. Ritual ist dann das Vorzeigen des Passes etc. Rituale werden an diesen Stellen erforderlich, weil der Aufenthalt in den Zwischenräumen irritierend ist. Insbesondere deshalb, weil wir nicht wissen, wie es dann weitergeht. Dabei ist der Aufenthalt im Zwischenraum eigentlich der Übergang  in eine neue Welt. Wenn zwei Menschen -nachdem sie die Barrikaden überwunden haben- durch diesen Zwischenraum hindurchgehen, entsteht etwas Neues, eine neue Welt. Für diese neue Kultur, die aus der Begegnung von zwei unterschiedlichen Kulturen oft auch nur für einen Moment entsteht, gibt es den Begriff „Third Culture“. Wenn man die eigene Bereitschaft in diese Zwischenräume zu gehen, bewusst im Griff hätte, wäre das eine Kompetenz. Das letzte Bild der Präsentation zeigte die Begegnung von Gott und Mensch aus den Fresken des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Hier begegnen sich Gottes Finger und Adams Finger, aber eben nicht ganz. Auch hier ein Zwischenraum.

Die Gruppe brach direkt nach einer kurzen Diskussion über die Impulse zu einem Spaziergang durch die Wiesen um Hohenschwangau auf. Unterwegs tauschten sich die Teilnehmer angeregt über ihre eigenen Erfahrungen mit Exotismus und Liminal Spaces aus.

Hinauf ging es mit der Seilbahn auf den Tegelberg, wo wahlweise der Absprung der Gleitschirmflieger verfolgt, der Weg zum Gipfelkreuz erklommen oder die Aussicht vom Café aus genossen wurde.

Jump and trust

Der Blick von der Seilbahn aufs Schloss, die vielen blauen Seen und die zarten vorüberziehenden Wolken trugen dazu bei, dass sich ein Gefühl von Ferien und Erholung breitmachte.

Nach einem Mittagsimbiss im Bergrestaurant kehrten die Teilnehmer individuell zum Hotel zurück und so mancher machte es sich noch kurz auf den Liegen im Garten bequem bevor um 16.30 Uhr die Fahrt zur Wieskirche startete.

Das Abendessen im Gasthof Moser an der Wies wurde in der traditionellen, dunklen Wirtsstube des großen Bauernhauses im Nachhinein zu einem besonderen Erlebnis, weil das Jesusbild der Wallfahrtskirche Wies in ebenjenem Haus seine Tränen vergossen hatte und damit die Welle überwältigender Volksfrömmigkeit ausgelöst hatte, die schließlich zum Bau der Wieskirche führte. Diese und andere Geschichten rund um die Wieskirche erfuhren die Teilnehmer von Herrn Müller-Hindelang, der sehr sensibel und glaubensstark in die Geschichte und Architektur der Wieskirche einführte und einen Zugang schuf zu der spektakulären Architektur des UNESCO Weltkulturerbes.


Daniel Tappe füllte dann an der Orgel den Raum der Wieskirche mit atemberaubender Musik, die sich mit dem Rokokko unmittelbar zu einem Gesamtkunstwerk verband.

Seine sowohl souverän virtuose als auch einfühlsame Interpretation der Werke von Johann Sebastian Bach (Komm Heiliger Geist BWV 651 und Allein Gott in der Höh sei Ehr BWV 662) und Carl Philipp Emanuel Bach (Sonata D-Dur) und insbesondere der Fuga in e von Johann Heinrich Buttstett machten diesen Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis und zum unangefochtenen Höhepunkt des Aufenthalts im Allgäu. Noch ganz erfüllt trafen die Teilnehmer wieder im Hotel ein, wo sich ein spontaner, bunter Abend entwickelte, getragen von den Gaben jedes einzelnen, die vergnügt eingebracht wurden. In Erinnerung werden bleiben Renatas Brasilianische Lieder, Karl und Ruth mit „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ und das gemeinsame Durchsingen des Liederbuchs mit Karl-Heinz und Romans Begleitung an der Gitarre und mit Duan und Martin am Cajón. Der Abend klang aus mit Xiaoqin und Duan am Klavier, die chinesische Schlager zu Besten gaben. Eine wirkliche Erfahrung von 5 Brote und 2 Fische. Wie lustig ist das Leben, wenn alle ihre Gaben frei einbringen!

Der Sonntagmorgen stand im Zeichen des gemeinsamen Gottesdienstes unter Leitung von Dekan Dr. Karl-Heinz Schell. Zentral war das Lied „Zwischen Himmel und Erde“ und die Predigt zu Klagelieder 3,22-26 und 31-32, die den Gedanken des Zwischenraums nochmals aufnahmen. Das Abendmahl im Garten unter dem großen Kreuz wurde für viele zum ersten Abendmahl nach der langen Durststrecke Corona.Nach Kirchenkaffee und Reisesegen war das schöne Wochenende leider vorbei. Zum Glück konnte jeder eine von Martin Jaenicke liebevoll gestaltete Flasche „Pekinger Heimwehtröpfchen“ mitnehmen und es gilt schon jetzt: „Nächstes Jahr an der Ostsee!“.

Rückblick Berlin 2020

Die Tagung „China- Ethik-Wirtschaft“, eine Kooperation von China Brücke Deutschland e.V. und Deutscher Ostasienmission vom 18.-20.9.2020 in Berlin stand im Zeichen von Corona. Für die über 40 Teilnehmer waren in diesen Zeiten die eigentlich anvisierten Räume im Berliner Missionswerk auf einmal zu klein, Catering und Gruppenreservierungen in Restaurants und Bars unmöglich und viele Planungen liefen einfach ins Leere. Der Entschluss, die Tagung „trotz Corona“ und mit Gottvertrauen durchzuführen, trug.

Deshalb fand die Tagung in der Immanuelkirche im Prenzlauer Berg statt und begann mit dem „Old Asia Hand Get-Together“ einfach im Freien vor dem Hauptportal der Kirche. Dort trafen sich die Tagungsteilnehmer aus ganz Deutschland zu einem ersten informellen Kennenlernen. Dekan Dr. Karl-Heinz Schell, Edna Li und Pfarrerin Barbara Deml eröffneten den Abend mit einem herzlichen „Ganbei“ mit Rotkäppchensekt. So mancher Teilnehmer merkte schon hier, was diese Tagung auszeichnete: geballte Asien-Kompetenz und Internationalität. Kaum einer der Teilnehmer hatte nicht schon einige Jahre in Asien verbracht. So kam es schnell zum angeregten und kontaktfreudigen Austausch. Der Abend klang im nahegelegenen Restaurant „Umami“ schon wie unter alten Freunden aus.

Gleich am nächsten Morgen hatten die Organisatoren für eine Überraschung gesorgt. Die Morgenandacht wurde geleitet von Pfarrer Lorenz Bührmann, der aus Peking per Video-Konferenz zugeschaltet war. Die alte pneumatische Orgel der Immanuelkirche mit dem Organisten Marvin Gass kooperierte tapfer mit dem digitalen Peking und so konnte der neue Pekinger Pfarrer aus Peking in Berlin über Psalm 103 predigen und davon berichten, wie ihm dieser geholfen hatte, die Herausforderungen von 14 Tagen Quarantäne im Zimmer eines Pekinger Hotels zu bestehen. Insbesondere für Teilnehmer, die in der Vergangenheit in Peking gelebt hatten und selbst Mitglieder der dortigen Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache, war diese hybride Andacht eine sehr anrührende Erfahrung.

Anschließend stellte Barbara Deml kurz die Immanuelkirchevor. In dieser Kirche ist der weltbekannte Bonhoeffer-Text „Von wunderbaren Mächten wunderbar geborgen“ von dem damaligen Kantor Otto Abel vertont worden.

Auch der erste Vortrag stand im Zeichen von Corona. Dr. Stephan Rothlin SJ, Direktor des Macao Ricci Instituts, hielt die Keynote zum Tagungsthema „China-Ethik-Wirtschaft“ unter dem Titel „China und Ethik, ein Konflikt?“ ebenfalls per Videokonferenz aus Macao. Er konnte nicht nach Deutschland kommen, weil er sonst wahrscheinlich nicht hätte nach Macao zurückreisen können. Rothlin vertrat die These, Chinas enormes ethisches Potential sei kaum ausgeschöpft. In der gegenseitigen Befruchtung von Religion und konfuzianischen Weisheitstraditionen kämen verschüttete Wege zutage. Konflikte seien aber weiterhin das Prinzip der Reziprozität, der Missbrauch der Corporate Social Responsibility als Werbe-Slogan, die vielen Arbeitsunfälle, Probleme mit finanzieller Transparenz und fairem Wettbewerb. Schließlich berichtete er noch von der konkreten Umsetzung der Ethik im chinesischen Kontext. Von den Zuschauern sehr interessiert aufgenommen, kam es über die Keynote trotz der großen Distanz zu einer angeregten Diskussion. Der Vortrag wird zur Veröffentlichung vorbereitet und kann zu gegebener Zeit bei der China Brücke Deutschland angefragt werden.

Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann hielt das zweite Referat mit dem Titel „Nicht-normative Ethik im Weinberg-Paradoxon und in anderen jesuanischen Gleichnissen“. Nicht normative Ethik“ behandelt „ethisch gutes Verhalten“ das paradoxerweise nicht zu einer Norm werden kann. Die Jesuanische Ethik ist kompromisslos anthropozentrisch aber nicht wirtschaftsfern. Alle Gleichnisse lassen sich mit der Formel Paradoxon, Prärogativ und Protest analysieren. Nicht normative Ethik vermeidet die Folgen einer gesetzes- und systemkonformen Menschenverachtung. Im Anschluss an das Referat entspann sich eine Diskussion über die Frage, ob es überhaupt normative Ethik in dem im Referat postulierten Sinne gäbe, denn auch die Normen des Rechtsstaates erfordern Auslegung und geben Ermessenspielraum, so dass der Mensch schließlich auch dort im Mittelpunkt stehen kann.

Nach dem Mittagessen, bei dem sich die Teilnehmer in eigener Regie auf die umliegenden Restaurants verteilten, schloß sich das dritte Referat zum Thema „Der Begriff der Menschenrechte in China“ an. Dr. Sven-Uwe Müller referierte aus seiner Doktorabeit von vor gut 20 Jahren, die sich aber immer noch großer Aktualität erfreut. Mit einigen Zitaten leitete er den Begriff der Menschenrechte in China historisch her. Sehr schnell wurde den Zuhörern klar, dass bereits sprachlich das Wort „renquan“ in China etwas anderes bedeutet als im Westen. Zudem kam der Begriff der Menschenrechte, wie viele Rechtsbegriffe, über Japan nach China und hatte dort bereits eine begriffliche und definitorische Abweichung vom westlichen Begriff der Menschenrechte erfahren. Die Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat, die im Westen gerne naturrechtlich hergeleitet werden, haben für den chinesischen Menschenrechtsbegriff bereits seit den 20ger Jahren des letzten Jahrhunderts, also längst vor der Machtübernahme derKommunisten, kaum eine Rolle gespielt. Auch Dissidenten in China berufen sich nach wie vor nicht auf den westlichen Menschenrechtsbegriff. Was bedeutet das aber in der Konsequenz für den Umgang mit China? Hierüber entbrannte eine engagierte und hochqualifizierte Diskussion, die schließlich auf das nächste Mal vertagt werden musste.

Abends fand sich die Tagungsgemeinde wieder zusammen. Diesmal in der Sophienkirche. Hier konzertierte Daniel Tappe auf der Orgel. Werke von Wagner, Vian und Bach bezauberten auf kurzweilige Weise ein Publikum, das froh war, sein Herz öffnen zu dürfen, nach den vielen kontroversen Eindrücken des Tages. Eine Filmmusik aus einem Film von Zhang Yimou bildete die Zugabe nach langem Applaus. Ein langer Tag klang aus bei einem gemeinsamen Abendessen in Lemkes Brauhaus am Hackeschen Markt.

Am Sonntag traf sich die Tagungsgemeinde nochmals zum Gottesdienst in der Immanuelkirche. Dem Pfarrer der Immanuelkirche Dr. Mark Pockrandt, der ein Grußwort sprach, konnte die Tagungsgemeinde ein Geschenk von 400 Euro überreichen, als Zuschuß zur Renovierung der Immanuelkirche.  Danach leiteten Pfarrerin Barbara Deml und Dekan Dr. Karl-Heinz Schell den Gottesdienst und luden die Teilnehmer zu einer Dialogpredigt ein. Im Zentrum des Gottesdienstes stand das Wort aus dem 1. Petrusbrief „Alle Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für Euch“. Die Orgel spielte wiederum Marvin Gasser. So endete ein ereignisreiches Wochenende mitten in Corona-Zeiten, das allen zeigte, dass auch in Coronazeiten, im Vertrauen auf Gott, spannende Tagungen möglich sind.