Rückblick Berlin 2020

Die Tagung „China- Ethik-Wirtschaft“, eine Kooperation von China Brücke Deutschland e.V. und Deutscher Ostasienmission vom 18.-20.9.2020 in Berlin stand im Zeichen von Corona. Für die über 40 Teilnehmer waren in diesen Zeiten die eigentlich anvisierten Räume im Berliner Missionswerk auf einmal zu klein, Catering und Gruppenreservierungen in Restaurants und Bars unmöglich und viele Planungen liefen einfach ins Leere. Der Entschluss, die Tagung „trotz Corona“ und mit Gottvertrauen durchzuführen, trug.

Deshalb fand die Tagung in der Immanuelkirche im Prenzlauer Berg statt und begann mit dem „Old Asia Hand Get-Together“ einfach im Freien vor dem Hauptportal der Kirche. Dort trafen sich die Tagungsteilnehmer aus ganz Deutschland zu einem ersten informellen Kennenlernen. Dekan Dr. Karl-Heinz Schell, Edna Li und Pfarrerin Barbara Deml eröffneten den Abend mit einem herzlichen „Ganbei“ mit Rotkäppchensekt. So mancher Teilnehmer merkte schon hier, was diese Tagung auszeichnete: geballte Asien-Kompetenz und Internationalität. Kaum einer der Teilnehmer hatte nicht schon einige Jahre in Asien verbracht. So kam es schnell zum angeregten und kontaktfreudigen Austausch. Der Abend klang im nahegelegenen Restaurant „Umami“ schon wie unter alten Freunden aus.

Gleich am nächsten Morgen hatten die Organisatoren für eine Überraschung gesorgt. Die Morgenandacht wurde geleitet von Pfarrer Lorenz Bührmann, der aus Peking per Video-Konferenz zugeschaltet war. Die alte pneumatische Orgel der Immanuelkirche mit dem Organisten Marvin Gass kooperierte tapfer mit dem digitalen Peking und so konnte der neue Pekinger Pfarrer aus Peking in Berlin über Psalm 103 predigen und davon berichten, wie ihm dieser geholfen hatte, die Herausforderungen von 14 Tagen Quarantäne im Zimmer eines Pekinger Hotels zu bestehen. Insbesondere für Teilnehmer, die in der Vergangenheit in Peking gelebt hatten und selbst Mitglieder der dortigen Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache, war diese hybride Andacht eine sehr anrührende Erfahrung.

Anschließend stellte Barbara Deml kurz die Immanuelkirchevor. In dieser Kirche ist der weltbekannte Bonhoeffer-Text „Von wunderbaren Mächten wunderbar geborgen“ von dem damaligen Kantor Otto Abel vertont worden.

Auch der erste Vortrag stand im Zeichen von Corona. Dr. Stephan Rothlin SJ, Direktor des Macao Ricci Instituts, hielt die Keynote zum Tagungsthema „China-Ethik-Wirtschaft“ unter dem Titel „China und Ethik, ein Konflikt?“ ebenfalls per Videokonferenz aus Macao. Er konnte nicht nach Deutschland kommen, weil er sonst wahrscheinlich nicht hätte nach Macao zurückreisen können. Rothlin vertrat die These, Chinas enormes ethisches Potential sei kaum ausgeschöpft. In der gegenseitigen Befruchtung von Religion und konfuzianischen Weisheitstraditionen kämen verschüttete Wege zutage. Konflikte seien aber weiterhin das Prinzip der Reziprozität, der Missbrauch der Corporate Social Responsibility als Werbe-Slogan, die vielen Arbeitsunfälle, Probleme mit finanzieller Transparenz und fairem Wettbewerb. Schließlich berichtete er noch von der konkreten Umsetzung der Ethik im chinesischen Kontext. Von den Zuschauern sehr interessiert aufgenommen, kam es über die Keynote trotz der großen Distanz zu einer angeregten Diskussion. Der Vortrag wird zur Veröffentlichung vorbereitet und kann zu gegebener Zeit bei der China Brücke Deutschland angefragt werden.

Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann hielt das zweite Referat mit dem Titel „Nicht-normative Ethik im Weinberg-Paradoxon und in anderen jesuanischen Gleichnissen“. Nicht normative Ethik“ behandelt „ethisch gutes Verhalten“ das paradoxerweise nicht zu einer Norm werden kann. Die Jesuanische Ethik ist kompromisslos anthropozentrisch aber nicht wirtschaftsfern. Alle Gleichnisse lassen sich mit der Formel Paradoxon, Prärogativ und Protest analysieren. Nicht normative Ethik vermeidet die Folgen einer gesetzes- und systemkonformen Menschenverachtung. Im Anschluss an das Referat entspann sich eine Diskussion über die Frage, ob es überhaupt normative Ethik in dem im Referat postulierten Sinne gäbe, denn auch die Normen des Rechtsstaates erfordern Auslegung und geben Ermessenspielraum, so dass der Mensch schließlich auch dort im Mittelpunkt stehen kann.

Nach dem Mittagessen, bei dem sich die Teilnehmer in eigener Regie auf die umliegenden Restaurants verteilten, schloß sich das dritte Referat zum Thema „Der Begriff der Menschenrechte in China“ an. Dr. Sven-Uwe Müller referierte aus seiner Doktorabeit von vor gut 20 Jahren, die sich aber immer noch großer Aktualität erfreut. Mit einigen Zitaten leitete er den Begriff der Menschenrechte in China historisch her. Sehr schnell wurde den Zuhörern klar, dass bereits sprachlich das Wort „renquan“ in China etwas anderes bedeutet als im Westen. Zudem kam der Begriff der Menschenrechte, wie viele Rechtsbegriffe, über Japan nach China und hatte dort bereits eine begriffliche und definitorische Abweichung vom westlichen Begriff der Menschenrechte erfahren. Die Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat, die im Westen gerne naturrechtlich hergeleitet werden, haben für den chinesischen Menschenrechtsbegriff bereits seit den 20ger Jahren des letzten Jahrhunderts, also längst vor der Machtübernahme derKommunisten, kaum eine Rolle gespielt. Auch Dissidenten in China berufen sich nach wie vor nicht auf den westlichen Menschenrechtsbegriff. Was bedeutet das aber in der Konsequenz für den Umgang mit China? Hierüber entbrannte eine engagierte und hochqualifizierte Diskussion, die schließlich auf das nächste Mal vertagt werden musste.

Abends fand sich die Tagungsgemeinde wieder zusammen. Diesmal in der Sophienkirche. Hier konzertierte Daniel Tappe auf der Orgel. Werke von Wagner, Vian und Bach bezauberten auf kurzweilige Weise ein Publikum, das froh war, sein Herz öffnen zu dürfen, nach den vielen kontroversen Eindrücken des Tages. Eine Filmmusik aus einem Film von Zhang Yimou bildete die Zugabe nach langem Applaus. Ein langer Tag klang aus bei einem gemeinsamen Abendessen in Lemkes Brauhaus am Hackeschen Markt.

Am Sonntag traf sich die Tagungsgemeinde nochmals zum Gottesdienst in der Immanuelkirche. Dem Pfarrer der Immanuelkirche Dr. Mark Pockrandt, der ein Grußwort sprach, konnte die Tagungsgemeinde ein Geschenk von 400 Euro überreichen, als Zuschuß zur Renovierung der Immanuelkirche.  Danach leiteten Pfarrerin Barbara Deml und Dekan Dr. Karl-Heinz Schell den Gottesdienst und luden die Teilnehmer zu einer Dialogpredigt ein. Im Zentrum des Gottesdienstes stand das Wort aus dem 1. Petrusbrief „Alle Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für Euch“. Die Orgel spielte wiederum Marvin Gasser. So endete ein ereignisreiches Wochenende mitten in Corona-Zeiten, das allen zeigte, dass auch in Coronazeiten, im Vertrauen auf Gott, spannende Tagungen möglich sind.